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“Basically, I'm for anything that gets you through the night - be it prayer, tranquilizers or a bottle of Jack Daniels.”

“Critics don't bother me because if I do badly, I know I'm bad before they even write it. And if I'm good, I know I'm good. I know best about myself, so a critic doesn't anger me.”

“The thing that influenced me most was the way Tommy played his trombone. It was my idea to make my voice work in the same way as a trombone or violin - not sounding like them, but "playing" the voice like those instrument- alists.”
Come Fly With Me

Ein weiterer Concept-Album-Meilenstein aus dem Hause Capitol, selbstredend mit Sinatra als Hauptausführendem, diesmal erstmals mit Unterstützung eines Arrangeurs, welcher zuvor schon bei einigen Single-Titeln die Ehre hatte, den Barden mit artgerechtem musikalischen Beiwerk zu versorgen. Ich spreche hier von niemand geringerem als von Billy May, meine hochgeehrten Damen und freilich auch Herren, der hier - wie schon erwähnt - zum ersten Mal die musikalische Leitung eines gesamten Albums übernahm und so in die Fußstapfen von Nelson Riddle und Gordon Jenkins zu treten die Ehre hatte. Und sich dieser gewiss nicht leichten Aufgabe durchaus gewachsen zeigte, wenn Sie mir erlauben, das anzufügen.

Anders als bei den vorhergehenden Concept-Alben weist Come Fly With Me keinen einheit- lichen Sound auf, das Konzept baute nicht wie beispielsweise bei
Where Are You auf musikalisch verwandte Themen, sondern in erster Linie auf eine inhaltliche beziehungsweise
vor allem - wie wir später sehen werden - gewissermaßen örtliche Verwandtschaft der einzelnen Songs. Die Platte ist also - um auf des Pudels Kern zu kommen - kein reines Swing- oder Balladen-Album wie seine Vorgänger, sondern bietet eine perfekt ausbalancierte Mischung
aus beidem.

Die Idee hinter dem Album war, die Zuhörerschaft auf eine musikalische Weltreise mitzu- nehmen - gewissermaßen mit Sinatra als Reiseleiter. Die Songs erzählen Geschichten aus unterschiedlichen Ländern und Kontinenten - und so unterschiedlich dieselben sind, so unterschiedlich ist auch der musikalische Kontext. So gibt es klassischen Big-Band- Swing, romantische Balladen und sogar einige exotische Anklänge zu hören - und in dieser Vielfalt beweist sich denn auch auf das Allerdeutlichste und Dringlichste die Begabung von Billy May, völlig Unterschiedliches auf konstant hohem Niveau abzuliefern. Egal, ob nun Ballade oder Swing-Kracher, May erweist sich als Meister der Arrangierkunst und zwar nachgerade in allen Disziplinen.

Der Erfolg sollte den Verantwortlichen Recht geben: Come Fly With Me erklomm bald nach Erscheinen die Spitze der US-Billboard-Charts. Und wahrlich - es handelt sich bei vorliegendem Album um einen wesentlichen Eckpfeiler in jeder halbwegs ernst gemeinten Sinatra-Sammlung, ein Pflicht-Album also, wenn Sie mir gestatten, diesen so vielfach strapazierten Ausdruck zu gebrauchen.

Mit der formidablen Einleitungsnummer Come Fly With Me heben wir denn also gemeinsam
mit Sinatra und einem rund 40-köpfigen Orchester zu einer musikalischen Reise rund um den Globus ab, welche uns im weiteren Verlauf von New York über das liebliche Capri bis nach Bombay und Hawaii führen wird. Die so wundervolle und so inspirierende Seine-Metropole Paris werden wir gar zwiefach ansteuern (und tun gut daran), ebenso werden wir dem stimmungsvollen London einen nächtlichen Besuch abstatten und uns in Brasilien so richtig rundum wohlsein lassen.

Der Opener Come Fly With Me wurde zu einer von Sinatras „Erkennungsmelodien“ und ein
in seinen Konzerten vom Publikum nur allzu gern bewillkommneter Evergreen, den der Barde keineswegs müde wurde, bis ins hohe Alter, ja bis ganz zuletzt in seiner langen, (über)langen Laufbahn als Bühnenkünstler zur Aufführung zu bringen. Wobei anzufügen man nicht umhin- kommt, dass Sinatra bei diesem Song in Konzerten im Laufe der Jahre immer mehr Biss entwickelte und Come Fly With Me immer härter swingen ließ. In der Tat: Auf dieser anno
1957 entstandenen Original-Fassung swingt Sinatra noch relativ entspannt und ohne den herben Anflug von Aggressivität, der vielen und vor allem späteren Live-Versionen des Titels innewohnt.

Nach Around The World, einer doch vergleichsweise unauffälligen - nichts trotz Desto gefälligen - Ballade und dem gutgelaunten, sehr humorvollen Swinger Isle Of Capri folgen auch schon die ersten wahren musikalischen Höhepunkte dieses Concept-Albums: Moonlight In Vermont
zeigt erstens Billy May als durchaus kompetenten Mann für balladeske Streicher-Arrangements und zwotens einen Sinatra bei einer seiner (vielen) Sternstunden der Capitol-Zeit. In stimmlich über- ragender Form läßt der Barde keinen Zweifel an seiner Autorität als damals bester Sänger im Fach der Populärmusik aufkeimen. Hoch- und höchstgradig erquickend! Ja, in der Tat - ein Ohrenschmaus, eine Labsal für alle von Dudelfunk ramponierten Gehörgänge, Sie werden
nicht anders können als mir voll und ganz zuzustimmen, meine Damen und Herren.

Autumn in New York ist eine der gefühlvollsten und sicher nebstbei bemerkt auch bitter- süßesten Liebeserklärungen an den Big Apple in der Geschichte der Populärmusik. Der hochgradig imaginative Text des bereits anno 1934 von Vernon Duke verfassten Titels hat
sicher - neben der bezaubernden Melodie - viel dazu beigetragen, dass dieser Song zu einem der beliebtesten Standards des Great American Songbook wurde, welcher auch heute noch oft und gern aufgenommen wird. Lassen Sie mich hier nur zwei Beispiele für die außergewöhnliche Bildsprache des Textes einflechten: 

Glittering crowds and shimmering clouds in canyons of steel
They're making me feel I'm home


sowie:

This autumn in New York
Transforms the slums into Mayfair


Oh, meine Damen und Herren - welch eine Meisterschaft, die freilich nur noch durch die
unnachahmliche Art, wie der Barde diese Zeilen singt, übertroffen wird! Wie so oft erweckt
Sinatra die Worte förmlich zum Leben. Dies eben - einen Liedtext nicht bloß zu singen,
sondern zu leben - ist eines der größten Geheimnisse in Sinatras Kunst.

Bei der Nummer On The Road To Mandalay hat Billy May Gelegenheit, aus dem Vollen zu schöpfen - das Arrangement fällt sehr komplex und vielschichtig aus, ist gespickt mit Anklängen an andere Musikstile - so hört man punktuell chinesische(?) Einflüsse und sogar Klänge, die an Militärmusik gemahnen. Bei all dem teils exotischen musikalischen Zierrat mit welchem der Song verbrämt ist, bleibt er dennoch im Wesentlichen ein genuiner, zupackender Swinger, an dem Sinatra hörbar seinen Spaß hat. Dem Publikum ergeht es dabei nicht wesentlich anders als dem Barden  - überzeugen Sie sich selbst davon. Was den Song zudem noch außerge- wöhnlich macht, ist das von niemandem - auch nicht von Ihrem Prinzipal - erwartete ungewohnt abrupte Ende.
Übrigens basiert dieser Song auf einem Gedicht von Rudyard Kipling und dessen Erben erhoben Einspruch gegen die Veröffentlichung, sodass zumindest im United Kingdom der Song auf der Erstveröffentlichung der LP durch die Nummer Chicago ersetzt werden musste.

Let´s Get Away From It All dagegen verzichtet auf jegliches Beiwerk und swingt in der Tat formidabel - in dieser Hinsicht sicherlich ein Höhepunkt der Platte.

Das wundervolle April In Paris, welches als nächstes ansteht, ist eine ideale Plattform für den Barden, um gleich mehrmals mit seiner Spezialität zu glänzen, nämlich scheinbar ohne zu atmen, lange Phrasen durchzusingen und miteinander zu verschmelzen. Hier wird man also gleich mehrmals Zeuge dieser atemberaubenden gesangstechnischen Fähigkeit, um welche Sinatra von allen seinen Sangeskollegen - und nicht nur aus dem Bereich der Populärmusik - beneidet wurde. Sinatra singt April in Paris mit viel Pathos zu einem anfangs vielleicht schon zu pathetischen Arrangement, während er beim nächsten Song, London By Night, weitgehend auf großen Gestus verzichtet. Knapp fünf Jahre später veröffentlichte der Sänger eine weitere und auch nicht übel gelungene Version des Titels auf dem leider vielfach etwas unterschätzten Album
Great Songs From Great Britain, diesmal dann arrangiert von Robert Farnon. London By Night ist zwar angenehm zu hören, hat aber sicherlich nicht die Substanz von April in Paris oder Autumn In New York.

Es gab Zeiten, in denen der Schlager Brazil zum Repertoire einer jeden Tanzkapelle, die auch nur ein klein wenig auf sich hielt, gehörte - jedoch wage ich zu behaupten, dass keine davon je auch nur eine annähernd so feurige Version auf die Beine zu stellen vermochte wie sie hier von Sinatra und May vorexerziert wird. Oh Brasilien, du Heimat des Zuckerhuts, Ursprungsland diverser weltberühmter alkoholischer Mixgetränke und mannigfaltiger Kaffee-Sorten, Wiege sowohl des Bossa Nova als auch von Gisele Bündchen und - ich möchte das nicht unerwähnt lassen - Heimat auch der attraktivsten Transvestiten der Welt. In der Tat - wenn Sie mir noch
die Erwähnung gestatten: Zufällig sah ich vor einiger Zeit eine Dokumentation über brasilianische Transvestiten, Transsexuelle und Hermaphroditen: Angesichts dieser zum größten Teil unge- mein zauberhaften, unglaublich verführerischen und in allerhöchstem Maße bestrickenden Erscheinungen war ich heilfroh, in einem Teil der Welt zu leben in dem die Wahrscheinlichkeit, solch umwerfend aussehenden Fabelwesen zu begegnen geradezu verschwindend gering ist und ich somit gottlob der Veranlassung enthoben bin, meine sonst so gefestigt geglaubten Präferenzen einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen. Meiner Treu: Manche - eigentlich sogar die meisten - dieser betörenden Geschöpfe sind so exquisit, dass sie jeden noch so standfesten Hetero in Drehschwindel zu versetzen vermögen.

Doch lassen Sie mich nach diesem kurzen Exkurs auf die Platte Come Fly With Me zurück- kommen: Das bis jetzt gehörte Material würde jederzeit die Endbewertung "hervorragend" verdienen - allein nun folgt ein Titel, der dem Album dieses Prädikat kostet und das Gesamt- urteil auf ein bloßes "sehr gut" drückt: Der Song Blue Hawaii ist innerhalb dieses Albums nur
als gravierender Ausrutscher zu bezeichnen, ist schlicht langweilig und wenig erquicklich.
Immerhin erlag Billy May nicht der immerhin naheliegenden Versuchung, Ukelele-Gewimmer oder sonstige Hawaii-Klischees in das Arrangement zu integrieren. Einen würdigen swingenden Abschluss findet das Album mit der Nummer It´s Nice To Go Trav´ling, welcher den kapitalen Ausrutscher mit Blue Hawaii schnell vergessen macht. Soweit zum Programm der seinerzeit- igen Original-LP-Ausgabe des Albums.

Die CD-Ausgabe enthält wiederum einige handverlesene Bonus-Tracks, welche diesmal sogar ganz gut zum Konzept des Albums passen, nämlich Chicago, South Of The Border und

I Love Paris, das erste aufgenommen 1957, während zweiteres bereits anno 1953 entstand.
Das wunderbare I Love Paris dagegen entstand ganze drei Jahre nach dem Original-Album, nämlich 1960. Alle drei Bonus-Titel wurden von Nelson Riddle arrangiert. „Come fly with me“ fordert uns Sinatra zu Beginn des Albums auf, um dann am Ende im auf der seinerzeitigen LP-Ausgabe letzten Song dann doch festzustellen: „It's very nice to go trav'ling but it's oh so nice to come home“. Wohlan - ein passender Schlusspunkt für das Album und danach dürfte eigentlich nichts mehr kommen, insofern wirken die drei Bonus-Tracks letztendlich doch wieder einmal reichlich deplaziert. Freilich mag es Hörer geben, die sich daran wenig stören dürften. Die Puristen unter den Hörern hingegen werden aber auch hier wieder nicht umhinkommen, ihre Abspielgeräte mit dem Original-Programm der seinerzeitigen LP-Ausgabe, welche eben mit erwähntem  It´s Nice To Go Trav´ling schließt, zu füttern.

Bewertung: sehr gut
Songs
Come Fly With Me
Around The World
Isle Of Capri
Moonlight In Vermont
Autumn In New York
On The Road To Mandalay
Let´s Get Away From It All
April In Paris
London By Night
Brazil
Blue Hawaii
It´s Nice To Go Trav´ling
Chicago
South Of The Border
I Love Paris

Aufgenommen Oktober 1957

Produzent
Voyle Gilmore

Arrangeur
Billy May